Chelsea Carmichael
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Die Welt da draußen erscheint einem ab und an greifbar und dann ist sie einem wieder so fremd wie der Blick in einen verkrümmten Spiegel. Doch Kunst, wie sie die Saxophonistin Chelsea Carmichael erschafft, widersetzt sich diesem Gefühl der Entfremdung. Es sind Klänge, die einen Konsens schaffen zwischen dem Selbst und dem da draußen, sie helfen dabei sich zu orientieren in einer Welt von flackernden Lichtern und wuseligen Verhältnissen.
So wirkt ihre Musik wie eine warme Stimme, die Resonanz erzeugt und Undurchsichtigkeiten verbannt. Jedes Mal wieder, wenn der Klang des Saxophons in vertrauter Repetition wie auf dem Track “Bone and Soil” die Oberfläche erreicht und als stärkstes Element die Richtung bestimmt, erreicht einen das Gefühl von Geborgenheit – man fühlt sich im Hier und Jetzt aufgehoben.
Mit ihrem Quartett, bestehend aus Gitarre, Kontrabass, Schlagzeug und Carmichaels Saxophon nahm sie 2021 ihr Debutalbum “The River Doesn’t Like Strangers” auf. Kein geringerer als der britische Sound-Virtuose Shabaka Hutchings signte sie als erste Künstlerin auf seinem neuen Label “Native Rebel Recordings”. Live war er sofort von ihr und dem subtilen, doch gleichzeitig richtungsweisenden Sound überzeugt, sodass er direkt gemeinsame Sache machen wollte.
Die Londonerin mit karibischen Wurzeln hat mit dem eigens arrangierten und komponierten Album endgültig einen festen Platz in der neuen jungen Jazzszene des Landes eingenommen. Und auch, wenn sie genauso bescheiden ist, wie der unaufdringliche Klang ihres Saxophons vermuten lässt, so hat sie doch einen bemerkenswerten Katalog vorzuweisen:
Das Album “Driftglass” spielte sie 2019 mit dem Seed Ensemble ein, hebt mit dem “Neue Grafik Ensemble” Modern Jazz auf eine neue Stufe und spielt mit “The Outlook Orchestra” vor Riesenpublikum. Dass sie währenddessen mit dem UK-Jazz-Musiker Theo Cross auftritt und dem Jazz im Vereinigten Königreich mit einem afro-karibischen Groove auf die Sprünge hilft, sei da nur im Nebensatz angemerkt.
Der Carmichael-Sound ist ein rhythmischer und gleichzeitig hypnotischer Sound, dem immer ein innovativer Groove anhängt. Mal mischt sich die Lockerheit aus dem Reggae-Dub mit ein, mal bedient sich das Quartett Elementen aus dem Post Bop. Bewegliche Tracks, temporeiche Saxophon-Soli, die in die Lüfte jagen und dann wieder Tracks so sanft und persönlich, dass man sentimental werden möchte.
Gitarre, Bass und Percussion erzeugen in ständiger Begleitung und mit diversem Arrangement einen breiten Klangteppich. Dieser läuft mal rhythmisch nach vorne, mal erinnern psychedelische Sound-Elemente an den spiritual jazz der 70er Jahre. Doch dann beginnt das im wahrsten Sinne tonangebende Saxophon von Carmichael dem Diffus-Träumerischen Klarheit beizufügen.
Ein Erkennungszeichen, das sie schon jetzt am Jazzhimmel leuchten lässt und sie wohl auch in Zukunft zu einer der interessantes und innovativsten Jazzmusikerinnen Großbritanniens machen wird.